Wer die Probleme des Euro in seinen Grundzügen verstehen will, braucht dazu eigentlich nur eine einzige Grafik. Sie zeigt die Entwicklung der Lohnstückkosten in den Ländern der Eurozone und veranschaulicht damit, wie hoch die Arbeitskosten sind, die für ein Produkt oder für eine Dienstleistung anfallen. Dies ist ein Maß für die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens oder eines Landes.
In unserer Grafik sind die Lohnstückkosten auf den Beginn der Währungsunion im Jahr 1999 auf 100 Prozent indexiert. Zehn Jahre später, also im Jahr 2009, waren sie in Irland und Spanien um mehr als 30 Prozent gestiegen. In Portugal lag das Plus bei knapp 30 Prozent, in Griechenland bei fast 40 Prozent. Dagegen lagen sie in Deutschland bis 2007 sogar leicht unter dem Ausgangswert von 100 Prozent, um dann in den folgenden beiden Jahren um knapp zehn Prozent anzusteigen.
Was sagen uns nun diese Zahlen? Steigende Lohnstückkosten bedeuten einen Verlust an Wettbewerbsfähigkeit. Selbst wenn wir also davon ausgehen, dass alle Länder auf Augenhöhe in die Währungsunion gegangen sind, hat sich in zehn Jahren eine riesige Kluft zwischen Deutschland und einigen anderen Mitgliedern der Eurozone aufgetan. Unterstellt man eine Austauschbarkeit und einen Wettbewerb innerhalb der Eurozone, so gilt: Kein Mensch würde Produkte oder Dienstleistungen aus Spanien, Griechenland oder Portugal kaufen, wenn er sie gleichzeitig aus Deutschland bis zu 30 Prozent billiger haben könnte. Arbeitslosigkeit, Unternehmenspleiten und steigende Belastungen für die Staatskassen sind die Folgen in diesen Ländern.
Diese Kluft hat diverse Gründe. Zum einen haben sich die Südländer Anfang des neuen Jahrtausends einen ordentlichen Schluck aus der Pulle bei den Löhnen und Gehältern gegönnt, während in Deutschland – nicht zuletzt aufgrund der Agenda 2010 von Bundeskanzler Gerhard Schröder – eher Lohnzurückhaltung angesagt war. Zum anderen aber steigt die Produktivität in Deutschland traditionell stärker als im Süden. Und höhere Produktivität bedeutet bei gleichbleibenden Löhnen: sinkende Lohnstückkosten und damit ein Wettbewerbsvorteil.
In der Vergangenheit sind solche Unterschiede in der Wettbewerbsfähigkeit durch eine Abwertung der Währung ausgeglichen worden, auch externe Abwertung genannt. Das ist der Grund weswegen Peseten, Escudos, Drachmen oder Lire über Jahrzehnte kontinuierlich gegenüber der D-Mark abwerteten. Doch diesen Mechanismus gibt es seit Einführung des Euro nicht mehr.
Den Krisenstaaten bleibt also nur die innere Abwertung: niedrigere Löhne oder eine höhere Produktivität. Dieser Weg wurde in den Ländern auch versucht. Die Grafik zeigt uns, wie weit Griechenland, Portugal, Spanien und Irland gekommen sind. Am stärksten ist der Rückgang in Irland, wo die Lohnstückkosten seit 2008 um gut zehn Prozent gesunken sind. Die anderen Länder treten trotz teilweise großer Bemühungen mehr oder weniger auf der Stelle.
Wir sehen also, dass obwohl die Arbeitslosigkeit und die sozialen Spannungen in Ländern wie Griechenland, Spanien und Portugal massiv zugenommen haben, nur vergleichsweise geringe Schritte in Richtung Wettbewerbsfähigkeit gemacht wurden. Die genannten Staaten müssten ihre Lohnstückkosten um weitere 20 bis 30 Prozent senken, um das deutsche Niveau zu erreichen. Wer sich vor Augen führt, was heute schon in den Straßen von Athen, Madrid und Lissabon los ist, weiß, dass dies niemals zu erreichen sein wird. Alternativ könnte man auch auf die Idee kommen, dass die Löhne bei uns von heute auf morgen um 20 oder 30 Prozent steigen müssten. Dann sollten wir uns aber lieber nicht fragen, wie es mit der deutschen Wettbewerbsfähigkeit gegenüber Wettbewerbern wie den USA oder China aussehen würde.
Selbst die politische Linke in Deutschland, der Forderungen nach höheren Löhnen traditionell relativ leicht von die Zunge gehen, hat sich mittlerweile zumindest in Teilen davon verabschiedet, dass ein deutlicher Lohnanstieg hierzulande ein eleganter Weg aus der Krise wäre. So war ich überrascht zu sehen, dass der Volkswirt Heiner Flassbeck, einst glühender Verfechter des Euro und der nachfrageorientierten Wirtschaftssteuerung („Gebt den Leuten mehr Geld, dann kaufen sie auch mehr Ware und alles wird gut.“) jüngst auf einer Veranstaltung der LINKEN umsteuerte. Er forderte nun mit Blick auf den Euro und nicht mehr reparablen Unterschiede in der Wettbewerbsfähigkeit: „Trennt Euch“.
Schuldenschnitte und Transferprogramme setzen nur an den Symptomen an, nicht an den Wurzeln. Sie werden langfristig nicht helfen. Vor allem die Krisenländer brauchen die Möglichkeit, über externe Abwertung zu atmen. Das muss nicht unbedingt eine Rückkehr zu nationalen Währungen bedeuten. Was wir brauchen, sind Währungsräume, die die Wettbewerbsfähigkeit der jeweiligen Staaten widerspiegeln oder zumindest so gewählt sind, dass Unterschiede durch Transferleistungen in akzeptabler Größenordnung gestemmt werden können.
Kommentare
so stark gestiegen sind, während sie in Spanien schon fast Rückläufig waren?
Wieder mal ein hervorragender Artikel von Ihnen !!!!
Kurz, klar und sehr aussagestark !!! :-)))
Gibt es von Ihnen irgendwo eine Sammlung Ihrer Artikel oder ein neues Buch ?
Würde mich sehr freuen viel mehr von Ihnen zu hören bzw. zu lesen!
LG Nik
Wenn es interessiert:
http://www.youtube.com/watch?v=mfKuosvO6Ac
Viele Grüße
Michael Schmidt
Herzliche Grüße Kernölmann Toni
Oder anders ausgedrückt: Mit mehr Wettbewerbsfähigkeit werden die globalen Probleme nur lokal gelöst, auf Kosten eines anderen Land oder sogar auf Kosten aller, wenn eine Lohnabwärtsspirale losgetreten wird bzw. die schon ohnehin vorhandene noch verstärkt wird. Damit würden die weltweiten Absatzprobleme nicht entschärft, im Gegenteil.
Mit einer Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit können Probleme lokal angegegangen werden, aber nicht die globalen Probleme gelöst werden. Diese werden sogar noch verschärft, wenn eine Lohnkürzungsspirale ausgelöst wird. Dann sinkt die Kaufkraft der Konsmenten weltweit.
die Wahrscheinlichkeit, dass die Argumentationskette des Artikels richtig ist, liegt bei 50%.
Grund: Das Diagramm ist INDEXIERTauf den Wert von 1999.
Jetzt gibt's zwei Möglichkeiten:
1. Lagen die Lohnstückkosten in 1999 tatsächlich in allen Ländern auf dem selben, absoluten Niveau, dann sind die Aussagen des Artikels korrekt.
2. Lagen die absoluten Lohnstückkosten 1999 entsprechend auseinander (z.B. DE: 10, ES:4), dann ist der Artikel quatsch. Dann läge in meinem Beispiel ES (+30%) heute bei ca. 5,3 und damit immer noch weiter unter DE.
Falls ich hier aber irgendwas übersehen, freue ich mich über jede Aufklärungsarbeit :)
Viele Grüße
Das Inflationsziel der EZB ist bei nahe 2%. Dieses wurde in den Vorkrisenjahren von den Südländern nach oben verfehlt, sie hatten also zu hohe Lohnsteigerungen. Gleichzeitig hat Deutschland mit seiner Lohnzurückhaltung das Inflationsziel mindestens ebenso deutlich nach unten verfehlt.
Eine Alternative zur gegenwärtigen Politik:
Stagnierende Löhne in den Defizitländern, deutlich steigende Löhne in den Überschussländer der Eurozone, allen voran Deutschland. Aufgrund der höheren Inflation bei gleichzeitig weiter niedrigen Zinsen, käme das jedoch einer Teilenteignung der Sparer gleich.
Das wollen wir jedoch nicht. Deshalb versucht man lieber die Lohnkosten der anderen zu drücken. Auch wenn das in Euro in die Rezession führte und der Schuldenberg der Südstaaten aufgrund sinkender BIP noch schneller steigt.
Die Lohnstückkosten sind der Quotient der Pro-Kopf-Lohnänderung in % und BIP-Änderung in %. Da gibt es also kein absolutes Niveau, auf das indexiert wird. Es sind dimensionslose Werte, die man weder der besseren Lesbarkeit wegen auf 100 hochrechnet.
Die Darstellung des Autors ist also völlig korrekt.
Verwechseln Sie vielleicht die Lohnstückkosten mit den Lohnkosten pro Arbeitsstunde? Dann hätten Sie Recht. Aber ein reiner Lohnkostenvergleich greift eben zu kurz. Es kommt auch darauf an, was dabei "hinten raus kommt".
Gruß
Klaus (Mein Vorname, bin nicht der Autor)
Siehe folgende Studie, Seite 7
http://tinyurl.com/bnxr6k6
Sind die Südländer deshalb wettbewerbsfähiger, weil sie niedrigere Lohnstückkosten haben? Meiner Meinung nach: nein. Offenbar ist der Markt bereit, für deutsche Produkte eine Prämie zu bezahlen. Wird der Preisabstand zu gering, dann greifen die Käufer verstärkt zu Produkten aus Deutschland, auch wenn andere Länder "billiger" sind.
In der Zeit vor Einführung des Euro wurde ein großer Teil der Anpassungen über die Wechselkurse vorgenommen. Diese Möglichkeit ist seit Einführung des Euro weggefallen. Daher ist die Indexierung auf den Zeitpunkt der Euro-Einführung gerechtfertigt und aus meiner Sicht auch aussagekräftig.
Gruß
Roland Klaus